Ein Interview

mit Dieter Stoll

Nürnberger Abendzeitung vom 8.11.2008

Mit ihrer "Zauberflöte" aus Puppenspiel, Video, Countertenor und Orchester haben sie es bis zu den Wiener Festwochen und den Salzburger Festspielen geschafft, ihre fränkischen "Zwerge" gaben Fitzgerald Kusz den stark gefährdeten Glauben ans Theater zurück, der Wagner-"Ring" aus Figuren und Projektionen hatte den Opernhaus-Nibelungen an Phantasie-Nachhall einiges voraus: Sie sind im Duett Thalias Kompagnons (ehedem: Tristans Kompagnons) und spielen seit 20 Jahren auch im Solo - da Tristan Vogt u.a. "Macbeth für Anfänger" mit Kasper-Personal und Joachim Torbahn mit der pinselschwingenden Mal-Theater-Frage "Was macht das Rot am Donnerstag?". Gemeinsam erhalten sie am 17. November als erste Puppenspieler den Kulturpreis der Stadt Nürnberg.

AZ: Herr Vogt, vor gut 20 Jahren habe ich erstmals eine Aufführung von Ihnen gesehen - im alten "Komm". Damals stand Puppentheater noch im Generalverdacht der Kinderbelustigung. War es für Sie schon eindeutig mehr?

TRISTAN VOGT: Auf jeden Fall, damals existierte ja das Figurentheater-Festival in Erlangen/Nürnberg bereits. Meine ersten Schritte waren zwar nostalgisch gemütlich mit einer Hospitanz im Nürnberger Marionettentheater - da durfte ich ab und zu mal eine Puppe halten. Aber dann sah ich Neville Tranter und seine bösen Stücken beim Festival.

Gibt es die direkte, nie von der Sehnsucht nach der elektrischen Eisenbahn unterbrochene Linie vom Kinder-Laufstall zur Kulturpreis-Party?

Nö, die Eisenbahn hatte ich gegen Kontrabass und Klavier getauscht. Ich wollte zum Theater, aber an die Oper. Das fand ich aufregend.

Ihre Schwester ist ja Sängerin. Sind es die Gene?

Meine Mutter war Konzertsängerin, mein Vater Theologe und Schulmusiker. Wir waren quasi ein Musiker-Haushalt.

Was lernt man da?

Vor allem, dass man üben muss.

Herr Torbahn, Sie wurden im Duo lange Zeit als der Mann, der für die Optik sorgt, wahrgenommen. Auf die Bühne drängte es Sie nicht gleich?

JOACHIM TORBAHN: Ich war zwar in der Schule in der Theatergruppe, aber es hat mir nicht so gut gefallen. Deshalb bin ich bei der Malerei gelandet - nur nebenbei in Wien bei der Theaterwissenschaft und dann als Assistent an der Stuttgarter Oper.

Wie schafften Sie die steile Kurve zu den Puppen?

Tristan hatte mich gefragt, ob ich nicht mal bei ihm zugucken will. Daraus wurde eine lockere Zusammenarbeit.

Woher kannten Sie sich?

Schon von der Labenwolf-Schule, da spielten wir beide im Schul-Orchester, aber Gedanken an Theater gab es damals noch gar nicht.

Und warum musste letztlich die grosse Oper dem kleinen Puppenspiel wieder weichen?

Weil ich festgestellt habe, was für ein hinderlicher Apparat dranhängt, mit dem Ergebnis gewaltiger Reibungsverluste, bei denen immer nur Fragmente von dem bleiben, was man ursprünglich wollte, während man mit den Puppen frei arbeiten kann.

Als Bühnenbildner?

Nur Bühnenbildner wollte ich nie werden, dann wäre ich schon lieber Maler geblieben.

Aber selber spielen wollten Sie doch auch nicht gleich...

Nee, ich bin ein bildhaft denkender Mensch und mich hat angezogen, dass sich Figurentheater mehr als andere Sparten in Bildern ausdrückt. In dieser Hinsicht ist es die extremste, interessanteste Form. Damit konnte der Gedanke, einsam im Atelier zu stehen für Bilder, die dann irgendwo hängen, nicht mithalten.

Also gleich zwei Verzichte zugunsten der Puppen?

Entscheidend war, dass mich Tristan zum Workshop an der Ostberliner Ernst-Busch-Hochschule überredete. Ich wollte da gar nicht hin.

TRISTAN VOGT: Und dann hat er es locker bewältigt. Für mich dagegen war es der absolute Schock, an dieser Schule zu sehen, was die für ein Handwerk drauf haben. Das gab es im Westen gar nicht.

Es war also noch DDR?

Ja, 1988, grade noch. Kurz nachdem wir dort waren, wurden dann die ersten Theater abgewickelt. Wenn das nicht symbolträchtig ist.

Im Nürnberger Kultur-Alltag war weder Ernst Busch noch Figuren-Festival. Wie sind Sie dem grossen Sog vom Urmele und dem Verkehrskasper entkommen?

JOACHIM TORBAHN: Wir hatten einfach Glück mit der Zeit damals, als man - anders als heute - auch Neulingen noch Angebote machte. In den Stadtteilen, bei den Kulturläden, dann sogar beim Festival.

TRISTAN VOGT: Dadurch wurde die Messlatte für uns hoch gehängt, das war genau die richtige Herausforderung.

Wie sehr mussten Sie sich trotzdem dagegen wehren, in die Weihnachtsgrundversorgung für die lieben Kleinen abgeschoben zu werden?

Nicht so sehr, wir spielen beide nicht zähneknirschend, sondern gern für Kinder.

Wie hat Ihre nächste Umwelt reagiert, als Sie das Puppenspiel zum Beruf machten?

TRISTAN VOGT: Tolerant! Meine Eltern haben gesagt: Wenn das sein Ding ist, dann muss es das eben sein.

JOACHIM TORBAHN: Da war keine Skepsis wegen der Art der Kunst, aber sicher die Sorge, ob der Junge davon leben kann. Aber es gab auf dem Weg so viel Anerkennung, dass es mir letztlich leicht gemacht wurde.

Dennoch haben Sie sich schon mehrfach vom grossen Theater anwerben lassen...

Weil es spannend ist, mal bei etwas mitzumachen, das wir selber nicht stemmen können.

TRISTAN VOGT: Wobei es gewiss nie unser Anliegen war, den "Lohengrin" zu stemmen.

Sie wollen also nicht in Eigeninitiative mit Schauspielern oder Sängern arbeiten?

JOACHIM TORBAHN: Das ist so sehr anders als unsere Arbeitsweise. Wir finden ein Thema und begeben uns auf die Suche. Im Grossbetrieb sind wir wie paralysiert und wissen...

TRISTAN VOGT: ...gar nix! Bei Kollegen, die sowas machen, verlieren entweder die Puppen oder die Schauspieler. Wir wären da auf der Seite der Puppen, und das ist nicht erspriesslich für gute Zusammenarbeit. Aber bei "Lohengrin" war es interessant während der Proben, nur für mich erschreckend, dass es in der Oper nicht erlaubt ist, etwas im Ablauf zu ändern. Wieviele gute Ideen soll es denn geben, wenn 150 Jahre alles bleibt.

Bei dieser umstrittenen Aufführung hatte der gutwillige Zuschauer zwei Gedanken. Erst: Aha, jetzt passiert was Neues! Dann: Aha, jetzt verläppert es!

(Gelächter) Ja, so ging es uns auch.

Sie reden, jetzt in unserm Gespräch, beide nicht fränkisch. Kommt das von der Bühnensprache oder woher?

TRISTAN VOGT: Bei ihm ist es Arroganz, bei mir ist es Herkunft. Er ist Nürnberger, ich bin vor 30 Jahren mit meinen Eltern aus Kiel hierher gezogen, weil es dort so oft regnet.

Aha, ich verstehe - und wie war Ihre Erstbegegnung mit der örtlichen Mentalität?

Kulturschock, was sonst! Ich bin in eine Vorstellung von "Schweig, Bub" geraten und habe höchstens 30 Prozent von dem verstanden, was da gesagt wurde.

Bemerkenswert, denn Fitzgerald Kusz wurde ja später für "Zwerge" und "Hänsel und Gretel" Ihr Mundart-Autor. Wie kam denn das?

Durch die AZ. Er hatte gelesen, dass wir einen Stern des Jahres bekamen und wollte wissen, was dahinter steckt. Daraus ist eine tolle Zusammenarbeit geworden mit Kusz-Fränkisch, das wir als Kunst-Sprache lernten. Und die ist für uns so besonders geeignet, weil es nicht um Witze geht, sondern um unglaublich dumpfe Archaik. Das "Horch amoll" gibt's so durchschlagend auf hochdeutsch nicht.

Ihr erster Griff nach der Oper traf gleich die grösstmögliche. Wagners "Ring des Nibelungen" mit einer Frauenstimme für alle Rollen - das war ziemlich tollkühn...

Ach, ich kannte die Möglichkeiten meiner Schwester.

Hm, noch ein zweiter Grund?

JOACHIM TORBAHN: Tristan fand den Wagner zunächst überhaupt nicht interessant, ihm war der "Ring" zu theatralisch übertrieben. Ich meinte, dass man den ganzen Bombast im Puppentheater anders behandeln kann. Nicht niedlich wie die Salzburger Marionettenbühne, sondern die Figuren als kleine Seelchen wie bei Chereau in Bayreuth.

Woher kam der Mut, es zu probieren?

Mit dem neuen Haus am Plärrer, seinen Möglichkeiten und der damit verbundenen Angst, dort zu scheitern, war das plötzlich etwas, was ihn interessierte.

TRISTAN VOGT: Ja, aus Grössenwahn. So wie der Wagner am eigenen Haus etwas durchzuziehen, und das auch noch in der Nähe vom Opernhaus.

JOACHIM TORBAHN: Da gab es auch im Stück so überraschende Anknüpfungspunkte.

Vom Rheingold zu Ihrem Sparbuch etwa?

(Gelächter) Nein, aber der Künstler, der alles selbst bestimmen wollte - und wir konnten sogar die Darsteller selber bauen. Für uns war das eine riesige Produktion.

TRISTAN VOGT: Ich habe beim Inszenieren immer Zweifel und denke nie über das hinaus, was in den Kofferraum meines Autos passt. Ohne die Hilfe von Wally und Paul Schmidt, die sich organisatorisch in anderen Dimensionen bewegen, hätten wir das nicht geschafft. So wie wir die "Zauberflöte" nur hingekriegt haben, weil das ensemble KONTRASTE auf uns zukam.

Beim "Ring" haben Sie eine Frau alle Rollen singen lassen, bei der "Zauberflöte" einen Mann. Wieso?

JOACHIM TORBAHN: Nachdem dieses Stück ohnehin ein ziemlich komisches Frauen-Bild hat, von Männern gemacht wurde und von Männern gespielt wird, fanden wir es konsequent, wenn bis zum alleinigen Sänger alle Männer sind, die so tun, als ob sie die Frauen verstehen und deshalb für die Frauen sprechen.

(Gelächter)

Jetzt werden Sie von allen Seiten bedrängt, sollen "Fledermaus", Nestroy-Volkstheater oder Monteverdi machen. Gibt's Video-Theater in Serie?

JOACHIM TORBAHN: Wir müssen immer wieder neu anfangen, neu suchen, sonst wird das Theater von der Stange. Ich kann mir nicht vorstellen, die mit derart viel Glück zustande gekommene Konstellation einfach mit einem anderen Stück zu wiederholen.

Sie können zur kleinen Form quasi an den Spieltisch zurückkehren. Bei Tristan Vogt ist es der Macbeth mit den Kasper-Prototypen, bei Ihnen die Erfindung des Mal-Theaters. Wieviele Länder haben Sie damit schon bereist?

An die 15 werden es jetzt sein. Australien war das am weitesten entfernte, und da gleich das Sydney Opera House - das war ein schöner Arbeitsplatz.

Herr Vogt, Sie proben grade im Künstlerhaus Kafka - bei dem wird erfahrungsgemäss wenig gelacht...

TRISTAN VOGT: Das will ich nicht hoffen! Aber im Gegensatz zu Schikaneder ist Kafka literarisch ein Unantastbarer. Jedoch unglaublich absurd und grotesk. Da steckt grossartige boshafte Komik drin, die nur leider selten gezeigt wird.

Ein paar Preise haben Sie schon, auch einen, den zuvor Wolfgang Wagner bekam. Was bedeutet da jetzt die Auszeichnung in Nürnberg?

JOACHIM TORBAHN: Wir leben hier, wir arbeiten hier, das ist der höchste Preis, den unsere Stadt zu vergeben hat. Es ist also für uns was Besonderes.

TRISTAN VOGT: Was sehr Besonderes.

Interview: Dieter Stoll
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