Rezensionen

Nürnberger Nachrichten
"ELCHJAGD-SZENEN" AUS DEM ENGEREN FAMILIENKREIS

Thalias Kompagnons: Witziger Figuren-Thriller mit Tiefenpsychologie
Besser als jeder Halloween-Kürbis: Die Figurenspieler von Thalias Kompagnons haben mit "Elchjagd" einen äußerst amüsanten Westentaschen-Thriller auf die Bühne der Nürnberger Tafelhalle gebracht.

Das erste Treffen mit den Eltern der zukünftigen Ehefrau: Wer würde da nicht nervös. Konrad ist ein sensibler Mann und betet seine Eliza an. Dass sie den Altvorderen aus taktischen Gründen erzählt hat, er sei Chirurg und nicht Tierarzt, erleichtert die Sache nicht. Eliza, ausgebildete Psychologin, diagnostiziert bei ihrem Zukünftigen denn auch schnell eine „Ritualphobie“. „Bei Stress versteckst du dich reflexartig im Schoß einer Frau!“ Es gibt schlechtere Lösungen.
Mit gewaltiger bis gewalttätiger Situationskomik hat der polnische Dramatiker Michal Walczak einen skurrilen Krimi aus der engen Welt der Familie geschrieben. Tristan Vogt (Spiel) und Joachim Torbahn (der gemeinsam mit Iwona Jera die Regie übernahm und die Puppen fertigte) haben daraus einen wunderbar tiefgründigen Thriller, eine Art Freudschen Alptraum gemacht. Denn jede Figur hat ihren inneren Schweinehund, ihre Liebeswünsche und Traumata im Gepäck.
Aus der sanften Eliza wird also eine mordende Furie, als ihr Ex-Lover und -Therapeut Jarek auftaucht und die Verlobung noch verhindern will. Eine Art Über-Ich, das es zu beseitigen gilt. Als nach Schlägen mit Omas Kandelaber das Hirn aus der Mayonnaise- Tube spritzt und später das Tomatenmark-Blut aus dem imaginären Schrank tropft, hat das junge Paar ein ernstes Problem. Schließlich stehen die Brauteltern gleich vor der Tür.
Was als schwarze Boulevardkomödie angelegt ist, entwickelt sich durch Tristan Vogts Spiel zum tief gründelnden Mords-Spaß: Er ist ganz offen auf der Bühne dabei, nicht nur zurückhaltender Puppen-Beweger im Hintergrund. Mit virtuos wechselnden Stimmlagen und energischer Gestik gibt er den Puppenköpfen Haltung.
Die schwankt bei manchen allerdings: Brautvater Romuald ist auf den ersten Blick der harte General mit Irak-Erfahrung und blitzenden Orden, leidet aber unter posttraumtischen Anfällen. Eliza zeigt als Mörderin ihr wahres Ich: „Wisch das Hirn weg, Rindvieh“, befiehlt sie eiskalt ihrem Verlobten, der sich vom schüchternen Liebhaber zum pragmatischen Retter entwickelt und das untote Opfer frankensteinmäßig zusammenflickt, während sie mit Mama ein Brautkleid aussuchen soll.
Der „romantische Albtraum“ ist wie gemacht fürs Figurentheater, Thalias Kompagnons haben auf dem Spieltisch die richtigen Mittel gefunden, um die Imagination der Zuschauer wohlig explodieren zu lassen. Das Spiel endet buchstäblich als Himmelfahrtskommando für den titelgebenden Elch. Für Menschen mit und ohne Ritual-Phobie ein feiner Abend!

Katharina Erlenwein in Nürnberger Nachrichten, 4.11.2014


WO DER ELCH INS GRAS BEISST
Dieter Stoll im Straßenkreuzer, Dezember 2014

Welch ein Grauen in der guten Stube: Das künftige Ehepaar ist von Dämonen aller Art bedroht. Knapp bevor die inquisitorischen Schwiegereltern (Ex-General mit Ex-Opernsängerin) den Bräutigam samt Haushalt kontrollieren, muss der Ex-Liebhaber der Braut aus dem Weg geräumt werden – aber eine Leiche im Schrank kann zu erheblichem Stimmungsabfall führen. Zumal dann, wenn sie jeden noch so stilvollen Mordanschlag per Armleuchter (= Kandelaber) durch permanente Auferstehung außer Kraft setzt. Im Albtraum-Spektakel „Die Elchjagd“, wo der polnische Autor Michal Walczak eine gutbürgerliche Freak-Versammlung einberufen hat als ob Hitchcock und Stephen King zum spiritistischen Übertrumpfungs-Wettbewerb gerufen hätten, werden am Ende alle schrecklich glücklich – bei der Aussicht auf ein langes, langweiliges Eheleben. Um es mit deutschem Liedgut zu sagen: Höllehöllehölle.
DIE AUFFÜHRUNG: Thalias Kompagnons, Nürnbergs Puppenspieler-Duo mit Kulturpreis, haben die erotisch aufgeladene Story einem Ensemble von Köpfen ohne Unterleib übergeben. Tristan Vogt ist der omnipräsente Spielleiter, der die markanten Charakterschädel aus der Werkstatt von Joachim Torbahn im Alleingang von einer Katastrophe in die nächste schiebt, bis nach Blutspenden aus der Tomatenmark-Tube endlich der rätselhaft durch den Dialog trabende Elch ins Gras beißt. Dabei kann man die irrwitzige Veranstaltung dreispurig erleben, denn das im Horror-Soundtrack badende Puppen-Drama ist in der variablen Stimme seines Herrn gleichzeitig autonomes Hörspiel, erreicht über dessen Offensiv-Mimik sogar die dritte Ebene der Ganzkörper-Pantomime. Herrlich absurd!